
130 Gäste aus ganz Europa feierten im Goldenen Adler den Start des EU-Projekts GroundWork -- Gemeinde profitiert langfristig von Übernachtungen, Arbeitsplätzen und Wissenstransfer
Weitnau -- Ein großer Tag für die Marktgemeinde: Am 12. November begrüßte Bürgermeister Florian Schmid als Schirmherr der Veranstaltung 130 Gäste aus Landwirtschaft, Wissenschaft, Behörden, Wirtschaft und Zivilgesellschaft im Gasthof "Goldener Adler". Der Anlass: der offizielle Start des EU-Projekts „GroundWork“, das die Gemeinde Weitnau für die nächsten fünf Jahre zum Zentrum europäischer Agrarforschung macht.
„Dass wir dieses große Projekt nach Weitnau holen konnten, ist ein kleines Wunder“, sagte Christine Bajohr, Geschäftsführerin der AERA Land gGmbH. Der „Sechser im Lotto“, wie sie den Zuschlag nannte, bringt nicht nur Forschungsgelder ins Allgäu, sondern macht Weitnau zum Knotenpunkt eines europäischen Netzwerks.
Was bedeutet das Projekt für Weitnau?
GroundWork ist ein fünfjähriges EU-Forschungsprojekt mit zwölf Millionen Euro Budget. Knapp zwei Millionen davon fließen nach Bayern -- und ein großer Teil der Projektaktivitäten wird von Weitnau aus koordiniert. Die AERA Land gGmbH hat ihren Sitz in der Gemeinde und fungiert als deutsches Koordinationszentrum des Living Labs.
Konkret bedeutet das für Weitnau: regelmäßige Veranstaltungen mit Wissenschaftlern und Landwirten aus ganz Europa, Übernachtungen in lokalen Unterkünften, Arbeitsplätze in Forschung und Projektmanagement -- und die Positionierung als innovativer Standort im ländlichen Raum.
"Angesichts von Klimawandel und Strukturwandel könne sich das Allgäu als Forschungsstandort positionieren -- als Ort, wo resiliente Lösungen für den ländlichen Raum entstehen", betonte Bürgermeister Schmid. In der Gesprächsrunde erläuterte er, wie die Gemeinde solche Lösungsansätze ganz pragmatisch unterstützen kann.
Zwei Strategien: GroundWork und AGRI FUTURE LAB Bayern
Die AERA Land und ihre Partner fahren zweigleisig: Während GroundWork als EU-Projekt bis 2030 läuft, startet parallel der Aufbau des "AGRI FUTURE LAB Bayern" (AFL) -- eine dauerhafte Infrastruktur mit Sitz in Weitnau, die über Projektlaufzeiten hinaus wirken soll.
"Mit dem Aufbau des AFL schaffen wir dauerhafte Strukturen. Orte, wo verschiedene Partner zusammenkommen können, um konkrete Probleme gemeinsam anzugehen", erläutert Bajohr. Das AFL soll mobile Forschungslabore, Demonstrationsbetriebe, ein Mentorenprogramm und Stipendien für junge Forscher umfassen -- alles koordiniert von Weitnau aus.
Worum geht es konkret?
Zehn Milchvieh- und Mutterkuhbetriebe aus der Region machen den Anfang und testen, wie Böden durch angepasste Beweidung widerstandsfähiger gegen Starkregen und Dürren werden können. Fünf weitere Betriebe kommen 2026 hinzu. "Unter realen Bedingungen", betont Bajohr. Keine Versuchsstation, sondern aktive Grünlandbetriebe, die wirtschaften müssen.
Bei der Auftaktveranstaltung erklärten Professoren aus Augsburg, Weihenstephan und Eichstätt sowie Dr. Ammerl von der Bayerischen Forschungsallianz, warum diese Forschung so dringlich ist: Die Temperaturen steigen rasant, mit mehr Starkregen und gleichzeitig höherer Verdunstung. Gerade in Hanglagen wie dem Allgäu werden Erosionsschutz und Maßnahmen zur Wasserregulierung überlebenswichtig. Ebenso wichtig sind vielfältige Pflanzenbestände und ein angepasstes Management.
Ein Living Lab ist ein Experimentierraum
Ein Living Lab ist ein Experimentierraum, in dem verschiedene Experten und Praktiker gemeinsam an konkreten Lösungen arbeiten. Beim einleitenden Vortrag von Christine Bajohr wurde klar: Hier geht es nicht um abstrakte Themen, sondern um Erfahrungswerte, das direkte Benennen realer Probleme und das Umsetzen guter Strategie zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit.
Der Oberallgäuer Landwirt Tobias Ruppaner zeigte am Beispiel seines Betriebs, dass es sich auszahlt, immer dran zu bleiben und zu experimentieren. Severin Schmölz vom Häbrarhof berichtete, wie grundlegende Veränderungen auf dem Hof gelingen können: "Man muss es wollen -- aber auch neue Impulse und Austausch sind entscheidend. Veränderung braucht Zeit und Ausdauer."
Gesprächsrunde mit Experten aus verschiedenen Bereichen
Im zweiten Teil moderierte Prof. Martin Schneider von der Uni Eichstätt eine Gesprächsrunde. Josefine Herz von der European Alliance for Regenerative Agriculture skizzierte gesellschaftliche Anforderungen an die Landwirtschaft. Manuela Müller-Gaßner von HeimatUnternehmen Allgäu zeigte Anknüpfungspunkte zu regionaler Verarbeitung und Vermarktung.
Prof. Dr. Gesa Busch von der HSWT stellte ein Tandemprogramm vor, das Nachwuchskräfte zwischen Hochschule und Praxis besser vorbereiten soll. Dr. Bettina Burkart-Aicher von der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege präsentierte neue Weiterbildungsformate, die Naturschutz und Landwirtschaft zusammenbringen.
Innovatives Format: Besucher gestalten mit
Besonders war auch das Format: An 13 Infoständen der Projektpartner konnten Besucher ihre Einschätzungen und Ideen auf Post-it-Zetteln festhalten -- und wurden so direkt ins Forschungsprojekt eingebunden. Bei der Station der Gemeinde Weitnau diskutierten sie, wie Kommunen resiliente Landwirtschaft unterstützen können.
Die Stimmung war ausgesprochen gut. Landwirte diskutierten mit Professoren, Bürger mit Behördenvertretern, Unternehmer mit Wissenschaftlern. Dass der Saal bis zum Schluss gefüllt war und viele bis zum Abendessen blieben, zeigt: Diese Themen bewegen die Menschen.
Ein Buch als Zeitzeugnis
AERA Land plant, die Entstehung des Zukunftslabors in Buchform zu dokumentieren -- "nicht als trockener Abschlussbericht, sondern als lebendiges Zeitzeugnis mit Geschichten, Bildern, Forschungsergebnissen, Kunst und Kultur", so Bajohr. Da diese Leistung nicht von Projektmitteln abgedeckt wird, werden noch Förderer gesucht.
Die gelungene Auftaktveranstaltung hat gezeigt: Weitnau positioniert sich als Ort, wo nicht nur über Zukunft geredet, sondern wo Zukunft gemacht wird. Im Frühjahr 2026 starten die ersten Messungen und Kartierungen. Die nächsten fünf Jahre werden spannend -- für die Landwirtschaft, für die Region, und für Weitnau.
Autor: Wiedemann | Foto: Lovric
Info-Box:
- Projekt: GroundWork (EU HORIZON, 2025-2030, 26 europäische Partner, 12 Mio. €)
- Koordination Deutschland: AERA Land gGmbH, Weitnau
- AGRI FUTURE LAB Bayern: dauerhafte Struktur mit Sitz in Weitnau
- Betriebe: 10 Allgäuer Milchvieh- und Mutterkuhbetriebe (5 weitere ab 2026)
- Budget Bayern: 1.9 Millionen Euro
- Kontakt: www.aera.land | info@aera.land